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Kraft der Vorstellung

Antje Schlenker-Kortum, 2019 · 07.05.2024

Foto: Antje Schlenker-Kortum

Foto: Antje Schlenker-Kortum

Das Altentheater feiert seinen 40-jährigen Geburtstag mit einer großen Jubiläumsinszenierung. Begleiten Sie uns in den Probenraum.

Etwa zwanzig Senioren sitzen im Stuhlkreis im Probenraum des Freien Werkstatt Theaters. Noch ist alles improvisiert – die Kostüme, die Bühne, der Vorhang - selbst das Publikum müssen sich die Laienschauspieler jetzt vorstellen. Ursula Schwerdtfeger spielt eine Zuschauerin. Entschlossen setzt sie sich mit ihrem Rollator in die erste Reihe. Leiterin Ingrid Berzau gibt Regieaweisungen: „Ihr tretet behütet auf.“ Die augenblickliche Verwandlung der Darsteller ist verblüffend.

 

Dem Altentheater liegen viele Jahre Erfahrung zugrunde. Gegründet wurde das Ensemble 1979 von Dieter Scholz, damals schon Leiter des Freien Werkstatt Theaters. Ingrid Berzau wurde 1984 gefragt, ob sie die Tanzeinlagen mit den Teilnehmern einstudieren könnte, damals arbeitete sie als Musik- und Tanzpädagogin an der Musikhochschule. Seit 1986 leitet sie das Altentheater gemeinsam mit Dieter Scholz.


Scholz erzählt, dass sich die Besetzung in den vierzig Jahren geändert habe, aber man verließ das Altentheater nicht - man blieb oder verschied. Der feste Stamm sei etwa seit zwanzig Jahren dabei.

 


Noch muss man sich die Bühne und die Kostüme vorstellen. Aber es gibt eine Zuschauerin in der ersten Reihe. Im Verlauf des Stückes wird sie noch eine besondere Rolle spielen.

Die Proben beginnen

Jeder begibt sich in Position auf der imaginären Bühne. Berzau gibt kurze Regiezurufe: „Ihr zwitschert, bis das Publikum still ist. Weiter geht’s mit den Schulmädchen. Ihr lockt das Publikum!“ Berzau baut mit Gesten einen unsichtbaren Raum. „Das hier ist der Vorhang. Wer läuft wo entlang?", fragt sie. Jeder Schritt, jeder Handschlag, jeder Kostümwechsel muss bis auf die Sekunde genau sitzen.

Taktgenau setzt das Akkordeon ein und alle singen das alte Volkslied: „Heut kommt der Hans zu mir....“ Jetzt unterbricht Akkordeonspielerin Sabine Falter genau an einer schwierigen Stelle des Textes. Sie ist Sängerin und Musikerin, zuständig für die Stimmarbeit, Musikdramaturgie und -improvisation. Sie weiß, dass es hilft Texte emotional zu verstehen, um die Betonung gezielter einzusetzen. Es sei wichtig, das Theatralische mit dem Stimmlichen zu verbinden. Immer wieder lobt und motiviert sie zwischendurch: „Es ist phänomenal, aus welch riesigem Erfahrungsschatz dieses Ensemble schöpfen kann.“


Dieter Scholz (mittig) ist selbst auch Darsteller des Ensembles. Hier probt man einen Tango.

Verständnis öffnet Welten

Das Thema der Jubiläumsvorstellung ist: Was ist das Alter? Diese Frage zieht sich wie ein roter Faden durch die Arbeit des Altentheaters. „Mit Ausschnitten aus unserer Jahrhundertrevue von 1987 geht es in alte Zeiten, in das persönliche Erleben und in das Erbe unserer Gesellschaft“, erklärt Berzau.

Sie wendet sich an die Darsteller: „Ihr müsst euch einfühlen, in eine Generation, die eure Eltern oder Großeltern sein könnten." In den Ausschnitten der Jahrhundertrevue wird auch das Stück über die Kindheit und Jugend von Mathilde Braun während der Kaiserzeit wieder aufgeführt. Zur Unterstützung ertönt die Kaiserhymne, die das Publikum in die Vergangenheit trägt.

Anleitungen fürs Leben?

Ingrid Berzau sensibilisiert für die nächste Szene: „Jetzt geht es um eine originale Schüleraufzeichnung aus der Kaiserzeit." Sie erklärt, wie der damalige Schauspieler den Lehrer interpretiert hat. Die Darsteller proben einen strengen Unterricht. Der Schulschluss wird von den Schulmädchen gefeiert und die Szene endet mit dem alten Volkslied „Kleine Mädchen müssen schlafen gehn“. Das Stück geht weiter mit dem Vortragen von, aus heutiger Sicht, teils absurden Lebensweisheiten aus Poesiealben. Solche „Anleitungen und Anweisungen fürs Leben“ in Reimform seien damals üblich gewesen, erläutert eine Moderatorin.

Ingrid Bezau gibt einen Vorgeschmack auf den weiteren Verlauf: „Im Anschluss gehen wir weiter chronologisch ins Heute. Denn die Alten von 1987 haben den Krieg als Erwachsene erlebt. Wir sind Kriegs- und Nachkriegskinder.“ Schon immer greife das Improvisationstheater die Themen der Teilnehmer auf, oft gäbe es einen politischen Bezug. Sie bringt die Entwicklung des Altentheaters auf den Punkt.
„Das Alter ist heute facettenreicher und komplizierter geworden. Aber es geht nicht um Anekdoten, es geht darum: Was bedeutet das alles heute?“

Endlich kommt der schönste Teil: Die Tänze der eigenen Jugend.

Fotos: Antje Schlenker-Kortum

Freies Werkstatt Theater Köln e.V.

Zugweg 10
50677 Köln

 

Bildband: 40 Jahre Altentheater - Freies Werkstatt-Theater Köln (1979 - 2019)

Eine ausführliche Dokumentation zur Geschichte des Altentheaters findet man im Bildband- handgeschriebene Erinnerungen aus den Anfängen, das Erste Seniorentheater-Festival von 1984, die Deutsch-Deutsche Jahrhundertrevue von 1992, das Erste Welt-Altentheater Festival von 1999 und viele weitere Projekte.
Erhältlich im Freien Werkstatt Theater

Redaktion: Ingrid Berzau
Mitarbeit: Nadia Walter-Rafëi

Gestaltung: Elsenbach Design

 

Webseite: Freies Werstatt Theater Köln
Webseite: Altentheater

 

Tags: Altentheater , Theater , Zeitgeschichte

Kategorien: Kultur